Natur wird permanent zerstört.
Kleinste Lebensräume, über Millionen von Jahren entwickelte Koexistenzen von Flora und Fauna sind massiv bedroht, viele bereits verschwunden.
Der lebenswichtige Organismus Erde als Ganzes ist gefährdet.
Weit verbreitete wissenschaftliche Erkenntnisse führten bis heute, trotz zunehmender Akzeptanz, nicht zu tiefgreifenden Veränderungen im kollektiven Bewusstsein und im Verhalten.
Wie könnte eine ergänzende An-Sprache aussehen, eine "Sprache", die uns vor allem stärker sinnlich-emotional berührt?
Aus dieser Fragestellung und dem Bedürfnis mit künstlerischen Mitteln auf diesen unhaltbaren Zustand zu reagieren, entstand das Projekt resource Nature: Verfremdete Fotografien unspektakulärer Pflanzen und Landschaften der näheren Umgebung sollten im öffentlichen Raum präsentiert werden - fern von kunstaffinen Räumen, Schönheit und Fragilität von Natur thematisierend.
Das Stipendium "Neustart Kultur- Modul D - Digitale Vermittlungsformate" ermöglichte 2022 die Einarbeitung in das Medium Fotografie. Es entstand ein umfangreiches Bildarchiv mit Farbaufnahmen. Im Fokus der künstlerischen Arbeit standen die Formkraft der Natur und deren Schönheiten - nicht Bilder einer konkreten Zerstörung.
Um den drohenden Verlust zu visualisieren wurden die Fotos in Grauwerte umgesetzt und durch weitere Bearbeitung gezielt verfremdet.
Es folgten Recherchen zu Techniken der Präsentation im öffentlichen Raum.
Um möglichst viele unterschiedliche Menschen zu erreichen, fiel die Wahl für die Präsentation einer Auswahl an Motiven auf die in Technik und Wirksamkeit etablierten digitalen Werbeflächen des Unternehmens Ströer, bekannt als Public Video Roadside Screens.
Eine weitere Förderung des Projektes resource Nature durch die Stadt Krefeld, Krefelder Kulturfonds 2023 und die Unterstützung durch Ströer machten - nach Tests im Winter - eine temporäre Realisation im Sommer 2023 möglich.
Abbildungen unspektakulärer Landschaften und Pflanzen erscheinen - zwischen Werbemotiven und Info-Screens - wiederkehrend, im Rhythmus vorgegebener, sekundenlanger Einspielzeiten.
Manche leicht verschwommen - fast traumartig wirkend, andere räumlich-plastisch, formbildende Kräfte und Wachstumsstrukturen abbildend, manche durch Wind und Wasser strukturiert, strahlen die Pflanzen Schönheit und Ruhe aus, aber auch Fragilität.
Unschärfen, Kontrastverstärkungen, die Abwesenheit von Farbe sowie die Abbildungsgröße der Motive im Verhältnis zum menschlichen Maß, vermitteln zudem das Gefühl von Abstraktion und Irrealität des Gesehenen.
Die Technik des kurzen Aufscheinens von Bildern konkretisiert eine Anmutung von Verschwinden, von Auflösung. Durch Wiederholung dringen die Bilder ins Bewusstsein.
Fern von kunstaffinen Räumen vermischen sich die Fotografien mit Alltäglichem.
Architektur, Natur, Werbung, Verkehr, aber auch wetterbedingte Lichtverhältnisse fließen in die Wahrnehmung der eingesetzten Bildmotive ein.
An Formkraft und Schönheit der Natur erinnernd, werden die Bilder zu irritierenden Momenten, Störstellen in einer von menschlicher ZERNUTZUNG geprägten Umgebung.
Nach Ablauf der digitalen Präsentationsphase Public Videos Roadside erscheinen einige Motive auf Großflächenplakaten. Als Nachklang und Kontrapunkt zur städtischen Umgebung werden Eindrücke aus der Natur für kurze Zeit fester Bestandteil des öffentlichen Raumes - Momente der Ruhe, der Stille, des Innehaltens.
Die Stiftung Kunstfonds ermöglichte mit einem Arbeitsstipendium 2024 die künstlerische Weiterentwicklung der Motive und Erprobung neuer Präsentationstechniken.
Ergebnisse fließen ein in die neue Intervention, die im Sommer 2025 durch die Projektförderung des Kulturbüros Krefeld und private Unterstützer/Innen realisiert wird.
Die Intervention resource Nature II erstreckt sich über einen längeren Zeitraum um durch Kontinuität eine erhöhte Sichtbarkeit zu erzeugen. Sie ist verstärkt auf Erfahrungsaustausch mit anderen Akteuren aus Kultur und Umweltschutz sowie Ausweitung auf andere Orte angelegt.
Nach einer ersten Plakatveröffentlichung und Präsentation einiger Motive auf Public Video Roadside Screens - als Referenz an die erste Intervention - werden auf analogen Großflächen neue Motive über einen längeren Zeitraum an unterschiedlichen Standorten plakatiert. Teil des Konzepts ist die sukzessive Steigerung der Plakatanzahl im Laufe des Projektzeitraumes.
Im Gegensatz zur ersten Intervention wurden die Motive stärker verfremdet, als Zeichen für den weiter drohenden Verlust:
Überlagerungen zweier Motive zeigen verschiedene Ebenen von Realität, ihre Vermischung erzeugt neue komplexere Bild-Räume. Entstanden aus der Kombination unterschiedlicher Wachstumsformen, Dimensionen und Auflösung vertrauter Größenverhältnisse, irritieren und erstaunen die Bilder zugleich.
Das lebensnotwendige Prinzip der Koexistenz zeigt sich in der Vermischung des Einen mit dem Anderen.
Verläufe von Hell nach Dunkel, ins Zeichenhafte transformierte Motive visualisieren stärker als bisher den drohenden Verlust - eine Abstraktion vertrauter Bilder.
Ähnlichen gestalterischen Prinzipien folgen auch die Morph-Videoarbeiten die im Rahmen eines Arbeitsstipendiums der Stiftung Kunstfonds 2024 entstanden.
(morph als Verwandlung, Veränderung)
Sie werden in öffentlich zugänglichen Institutionen zu sehen sein, ergänzend zu den Motiven im Stadtraum.
Ohne einer "erzählerischen Dramaturgie" zu folgen, zeigen die Videos eine Abfolge der Motive - in Anlehnung an die eher flüchtige Wahrnehmung im Stadtraum.
Das betont langsame Tempo der Überlagerung von Bildern lässt Zeit, die im Übergang entstehenden neuen Bildformationen wahrzunehmen in ihrer Mischung aus realen Anteilen und Irrealem.
Langsamkeit und Stille der Videos stehen im Kontrast zu einem Wahrnehmungsverhalten, das verstärkt auf Geschwindigkeit, Lautstärke und starke Farbigkeit ausgerichtet ist.
Eher beiläufig in tägliche Abläufe der öffentlichen Zonen der Institutionen eingebettet, entstehen Momente der Irritation. Zugleich laden die Videos ein, in die fast traumhaft wirkenden, der Realität entrückten Bild-Sequenzen einzutauchen.
Emotional-sinnlich ansprechende Bilder der Natur, zwischen Schönheit und Fragilität pendelnd, fordern subtil einen wertschätzenden Umgang mit der Natur.
Doris Kaiser 2025
Unser primär ökonomisch ausgerichteter Blick versteht Natur vor allem als Ressource zur Gewinnung von Produkten und somit von Kapital. Die maßlose Nutzung der Natur macht ihre Regeneration unmöglich – mit absehbaren wie auch unabsehbaren Folgen. Die drohenden Gefahren sind weitgehend bekannt, und Umweltzerstörung, Artensterben, Klimawandel längst zu omnipräsenten Schlüsselbegriffen unserer Zeit geworden. Zugleich lösen die zunehmende Erregung und Dramatik, mit der die erwartbaren Folgen sprachlich und bildlich vermittelt werden, bei vielen Menschen diffuse Ängste, Überdruss oder Resignation aus. Was zum Handeln motivieren soll, führt immer häufiger zu Distanzierung, Verdrängung oder Trotzhaltungen. Die Diskussionen um geeignete Maßnahmen werden zerredet, die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern tiefer, die Folgen der Übernutzung der Ressource Natur immer gravierender.
Umso drängender stellt sich die Frage, wie sich diese fatale Entwicklung durchbrechen lässt. Auch Doris Kaiser beschäftigt schon länger, wie sie als Künstlerin dazu beitragen kann, die Natur nicht nur als ökonomische Ressource, sondern als Grundlage allen Lebens wahrzunehmen.
Anstöße zur Reflexion oder zur Änderung unseres Verhaltens zu geben galt lange Zeit als ureigene Domäne der Künste. Unter der englischen Bezeichnung ‚nudging‘ wird es seit längerem in der Wirtschaft und Politik eingesetzt als wirkungsvolles Mittel, eine Änderung des Verhaltens ohne Verbote herbeizuführen. Insbesondere die Marketing-Kommunikation hat dafür Methoden auf der Grundlage wahrnehmungs- und verhaltenspsychologischer Erkenntnisse entwickelt, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu lenken und ihnen auch und gerade mit ästhetischen Mitteln Anstöße zu vermitteln.
Indem Doris Kaiser für ihr Projekt resource Nature große, an vielbefahrenen Straßen aufgestellte digitale Roadside Screens nutzt, profitiert sie von eben diesen Erkenntnissen, die üblicherweise werbestrategisch eingesetzt, nun der künstlerischen Intervention dienen. Zwischen die alle zehn Sekunden wechselnden werblichen Standbilder und kurzen Videos werden über die Laufzeit des Projekts neun verschiedene Schwarzweiß-Fotos mit Naturmotiven eingeblendet. Sie zeigen Landschaft, Wald oder Gruppierungen und Details von Pflanzen in vorher festgelegten Zeitabständen. Ungewohnte Kontraste, verschobene Grauwerte und partielle Unschärfen verleihen ihnen auf eine ästhetisch sehr reizvolle Art etwas seltsam Unwirkliches, einer ferngerückten Erinnerung vergleichbar an etwas, das uns einst selbstverständlich umgab, inzwischen aber still und unbeachtet verschwindet.
Zu der Aufmerksamkeit, die durch die Bewegung des Motivwechsels erzeugt wird, kommt die ‚Störung‘ des Erwartbaren durch die unübliche Schwarzweiß-Ästhetik der Naturaufnahmen. Der Standort der großen Bildschirme und die Abfolge der Motive haben wiederum zur Folge, dass diese eher unmerklich ins Unter- oder Zwischenbewusstsein dringen.
Was auf den Roadside Screens nur im Vorübergehen oder Vorbeifahren erhascht wird und für einen Moment irritiert, lässt sich mit selbstgewählter Dauer und um weitere Motive ergänzt auf der Internetseite re-N betrachten. Die zeitversetzte Plakatierung einiger Motive ruft die Intervention erneut in Erinnerung. Die abschließende Dokumentation des gesamten Ereignisses bleibt auf re-N abrufbar.
Doris Kaiser ist bekannt für ihre reduzierten Reliefs und Skulpturen aus Gips und Ton; fotografisch arbeitete sie bisher nicht. Die Fotos stehen hier dementsprechend nicht für sich allein, sondern ergeben im Zusammenspiel der beiden korrespondierenden Medien des öffentlichen Raumes – den digitalen Roadside Screens und den analog funktionierenden Plakatwänden - ein Kunstprojekt. Die Bildhauerin bedient sich hierbei einer für sie neuen Bildsprache, mit der sie dem stillen Verschwinden der Natur eine leise, poetisch nachklingende Stimme verleiht, die sich als sanft berührender Flüsterton in die Zwischenräume unseres Bewusstseins einnistet – eine still nachhallende Aufforderung, den fortschreitenden Verlust nicht länger hinzunehmen.
Susannah Cremer-Bermbach
resource Nature II
Für eine erneute Präsentation hat Doris Kaiser ihr 2023 erstmals gezeigtes Kunstprojekt resource Nature erweitert mit neuen Fotos und Kurzvideos und einem breiteren Präsentationsspektrum. Erneut sind im öffentlichen Raum ihre Naturmotive auf Road Side Screens und Fotodrucke auf Plakatwänden zu sehen. Zusätzlich geschaffene beiläufige Begegnungen mit Videos in Institutionen, in denen auf Kunst zu treffen unüblich ist, verdeutlichen einmal mehr, dass bei diesem Kunstprojekt Foto und alltäglicher Ort einander bedingen.
Die Bezeichnung ‚Morph‘ für die neuen Fotos und Kurzvideos nimmt Bezug auf das altgriechische Wort ‚morphé‘, das allgemein mit ‚Gestalt‘ oder ‚Form‘ übersetzt wird, was weniger statisch gedacht als vielmehr prozesshaft ausgelegt werden darf. Zum anderen verweist der Titel auf das als ‚Morphen‘ bekannte Verfahren, ein drittes Bild aus zwei übereinander kopierten Bildern zu erzeugen.
Die mit ‚Morph‘ betitelten, zugleich vertraut und irreal erscheinenden Bilder zweier übereinander gelagerter Pflanzen erinnern daran, wie alles in der Natur miteinander verbunden und aufeinander bezogen ist. Die Videos machen darüber hinaus in den Übergängen von einer Pflanze in eine andere das Entstehen neuer Formationen, Strukturen und (Zwischen)Räume sichtbar. Zugleich wird hier der Prozess eines Werdens und Vergehens vor Augen geführt, dessen Subtext bei aller Schönheit und Neuartigkeit nicht vergessen lässt, dass hier ein zunehmend fragiles Werden, ein leises Vergehen, ein kaum bemerktes Verschwinden für immer, reflektiert wird.
Susannah Cremer-Bermebach, Juni 2025